Peter H. Schmitt | Mediation Coaching Training

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Wie Bewertungen unsere Gefühle formen.

Erkenntnisse aus der Forschung und ihre Bedeutung für die Gewaltfreie Kommunikation.

Einleitung

Stell dir vor, du stehst morgens im Erdgeschoss vor dem Aufzug in deinem Bürogebäude. Es ist trubelig und Du bist nicht der einzige der ins Büro möchte. Die Anzeige springt auf Erdgeschoss, die Türen öffnen sich und die Leute steigen ein. Im letzten Moment schiebt sich eine Person an dir vorbei und nimmt den letzten freien Platz. Die Türen schließen sich. Du bleibst zurück und wirst zu spät zu deinem Meeting kommen. Wie fühlst Du Dich?

Eine alltägliche Situation. Doch was du empfindest, hängt nicht nur vom Geschehen selbst ab, sondern davon, wie du es bewertest. Eine aktuelle Metastudie von Yeo & Ong (2024), die mehr als 300 Studien analysiert, zeigt: Unsere Emotionen entstehen nicht durch Ereignisse allein, sondern durch sieben zentrale Bewertungsdimensionen.

In diesem Artikel stelle ich dir diese sieben Dimensionen anhand des Fahrstuhlbeispiels vor. Und ich zeige dir, wie unterschiedliche Gedankenmuster zu ganz unterschiedlichen Gefühlen führen können – von Gelassenheit bis Wut. Am Ende wartet eine kleine Übung auf dich, die du direkt im Alltag anwenden kannst.

1. Grundbedürfnisse

Hinter jeder Emotion stehen universelle Bedürfnisse. Wenn ich Zusagen nicht einhalte, kann das zum Beispiel die Bedürfnisse nach Identität, Sicherheit, Klarheit oder Verbindlichkeit berühren.

Was in mir wird berührt?

  • Angenehmes Denkmuster: “Ich brauche Ordnung, aber ich komme schon klar. Mein Bedürfnis nach Selbstbestimmung bleibt intakt.”
    Gefühl: Gelassenheit, Nachsicht
  • Unangenehmes Denkmuster: “Typisch, mein Bedürfnis nach Respekt wird schon wieder mit Füßen getreten.”
    Gefühl: Enttäuschung, Frustration

Schon allein die Wahrnehmung, dass ein Grundbedürfnis nicht erfüllt ist, reicht oft aus, um intensive Gefühle auszulösen – selbst wenn objektiv niemand “schuld” ist.

2. Zielrelevanz

Je nachdem, wie sehr ein Ereignis unsere persönlichen oder beruflichen Ziele betrifft, fällt auch unsere Gefühlsreaktion aus.

Wie sehr betrifft das meine aktuellen Ziele?

  • Angenehmes Denkmuster: “Das Meeting ist wichtig, aber ich kann mich auch noch telefonisch dazuschalten. Kein Weltuntergang.”
    Gefühl: Zuversicht, Ruhe
  • Unangenehmes Denkmuster: “Wenn ich zu spät komme, denken alle, ich bin unzuverlässig. Das ruiniert meinen Tag.”
    Gefühl: Stress, Angst

Wenn wir bewerten, dass eine Situation unsere Ziele unterstützt, fühlen wir eher Freude oder Hoffnung. Wenn sie unsere Ziele blockiert, entstehen Frust oder Stress.

3. Verantwortung & Absicht

War der Fehler absichtlich? Wer hätte etwas anders machen können? Wenn wir glauben, dass jemand fahrlässig oder absichtlich nicht gehandelt hat, erleben wir schnell Wut oder Ärger.

Wer ist schuld – und warum?

  • Angenehmes Denkmuster: “Vielleicht hat sie mich nicht gesehen. Oder war einfach in Eile.”
    Gefühl: Verständnis, Nachsicht
  • Unangenehmes Denkmuster: “Die hat das mit voller Absicht gemacht! Wie rücksichtslos kann man sein?”
    Gefühl: Ärger, Wut

Wenn wir jedoch die Verantwortung auf äußere Umstände oder Missverständnisse zurückführen, sind wir eher nachsichtig.

4. Kontrolle & Bewältigung

Wie viel Einfluss haben wir? Wenn wir glauben, dass wir die Situation beeinflussen oder bewältigen können, empfinden wir eher Zuversicht. Wenn wir uns ausgeliefert fühlen, entstehen schnell Gefühle wie Hilflosigkeit oder Resignation.

Kann ich etwas tun?

  • Angenehmes Denkmuster: “Ich nehme die Treppe, telefoniere unterwegs oder informiere kurz meinen Kollegen.”
    Gefühl: Handlungsfähigkeit, Leichtigkeit
  • Unangenehmes Denkmuster: “Ich kann gar nichts machen. Ich bin gefangen und alles entgleitet mir.”
    Gefühl: Ohnmacht, Hilflosigkeit

Diese Bewertung beeinflusst nicht nur unsere Gefühle, sondern auch unsere Handlungsmotivation.

5. Erwartungen

Wir alle haben Erwartungen – an andere, an uns selbst, an Abläufe. Wenn diese Erwartungen nicht erfüllt werden, empfinden wir Enttäuschung oder Frustration. Wenn sie übertroffen werden, erleben wir Freude oder Dankbarkeit.

War das vorhersehbar?

  • Angenehmes Denkmuster: “Sowas passiert. Es überrascht mich nicht mehr wirklich.”
    Gefühl: Gelassenheit, Akzeptanz
  • Unangenehmes Denkmuster: “Ich erwarte, dass sich Menschen an Regeln halten! Das ist einfach unfassbar.”
    Gefühl: Empörung, Irritation

Manche Enttäuschungen entstehen also nicht nur aus dem Ereignis, sondern aus einer überhöhten Erwartungshaltung.

6. Zukunftsentwicklung

Wie schätzen wir den weiteren Verlauf ein? Gibt es Hoffnung oder eher Sorge?

Was bedeutet das für später?

  • Angenehmes Denkmuster: “Ich werde’s schon regeln. Das hat keine großen Auswirkungen.”
    Gefühl: Hoffnung, Zuversicht
  • Unangenehmes Denkmuster: “Wenn der Tag schon so anfängt, wird er komplett schiefgehen.”
    Gefühl: Stress, Resignation

Unsere Bewertung der Zukunft beeinflusst, ob wir Resignation, Hoffnung, Zuversicht oder Stress empfinden.

7. Normen & Werte

Verhalten wird auch im Lichte unserer inneren Werte betrachtet. Wenn andere gegen unsere Vorstellungen von Professionalität, Respekt oder Fairness verstoßen, entsteht innere Reibung.

Verletzt das meine Grundüberzeugungen?

  • Angenehmes Denkmuster: “Vielleicht war das Verhalten nicht ideal, aber Menschen handeln manchmal unbedacht.”
    Gefühl: Milde, Verständnis
  • Unangenehmes Denkmuster: “Solche Leute zerstören den Zusammenhalt. Das ist rücksichtslos und asozial.”
    Gefühl: Abwertung, Abgrenzung

Diese moralische Bewertung beeinflusst insbesondere Gefühle wie Empörung, Schuld oder Scham.

Übung zur Selbstanwendung

Reflexionsübung: Das Bewertungsmischpult

  1. Denk an eine Situation, in der du ein starkes unangenehmes Gefühl erlebt hast. Schreib die Beobachtung neutral auf.
  2. Notiere für jede der sieben Dimensionen: Wie hast du damals in der Situation vermutlich gedacht?
  3. Formuliere zu jeder Dimension ein alternatives, wohlwollenderes Denkmuster.
  4. Spüre nach: Verändert sich dein Gefühl, wenn du die Situation unter diesem neuen Blickwinkel betrachtest?

Du kannst dir auch ein “inneres Mischpult” mit den sieben Reglern vorstellen. In stressigen Situationen kannst du dir die Frage stellen: “Welchen Regler habe ich gerade voll aufgedreht? Und welchen könnte ich etwas zurücknehmen?”

Fazit

Emotionen überkommen uns nicht einfach. Wir erzeugen sie mit unseren Gedanken – oft unbewusst. Wenn wir beginnen, unsere Bewertungen bewusster zu betrachten, gewinnen wir Einfluss auf unser Erleben. Die sieben Bewertungsdimensionen können dabei ein Kompass sein für mehr emotionale Klarheit und Selbstverantwortung.

Vielleicht denkst du beim nächsten Aufzugs-Erlebnis daran. 😉

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