Kennst du das? Du bist pünktlich am vereinbarten Treffpunkt und wartest auf einen langjährigen Bekannten. Je länger du wartest, desto unruhiger wirst du und erinnerst dich daran, dass er schon öfter zu spät kam. Als er schließlich eintrifft, rutscht dir ein säuerlicher Satz heraus:
„Du kannst auch nie pünktlich kommen!“ Seine Antwort kommt prompt und nicht minder gereizt:
„Das stimmt doch gar nicht! Beim letzten Mal war ich sogar vor dir da.“
Und anstatt dich zu freuen, bist Du mitten in einem unnötigen Schlagabtausch. War das die Absicht des Treffens? Wohl kaum.
Wenn Worte die Verbindung kappen
Was ist hier passiert? Der Schlüssel liegt in einem kleinen, aber wirksamen Mechanismus: Generalisierungen.
Sätze wie „immer zu spät“, „nie pünktlich“, „alle sind so“ oder „man muss eben stark sein“ wirken auf der Beziehungsebene wie Stolperfallen. Sie laden nicht zum Austausch ein, sondern provozieren immer Rechtfertigung oder Verteidigung.
Vielleicht hast du beim Lesen meines letzten Satzes selbst gespürt, wie sich ein innerer Widerstand aufbaut. Genau das geschieht auch im Gespräch: Der andere fühlt sich nicht gesehen, sondern bewertet und wird fast zwangsläufig ein Gegenbeispiel liefern. Das Gespräch dreht sich im Kreis, anstatt sich zu öffnen.
Bewertungen vs. Beobachtungen
In der Gewaltfreien Kommunikation unterscheiden wir klar zwischen Beobachtungen und Bewertungen.
- Beobachtungen basieren auf überprüfbaren Fakten: Zeit, Ort, Häufigkeit, Zitate.
- Bewertungen hingegen entstehen in unserem Kopf und sind geprägt von Erfahrungen, Erwartungen und Emotionen.
Generalisierungen sind eine besonders tückische Form der Bewertung. Sie machen unsere Sprache unklar und unsere Botschaft angreifbar.
Was bewirken Generalisierungen?
Generalisierungen…
- …blenden den Kontext aus („immer“, „nie“, „ständig“).
- …übertreiben Maß und Menge („alle“, „keiner“, „jeder“).
- …verabsolutieren Regeln („man muss“, „das geht nicht“).
- …verschieben Verantwortung durch unpersönliche Pronomen („man“, „wir“).
Insbesondere die Pronomen „man“ und „wir“ verdienen Aufmerksamkeit. Sie können ein Gefühl von Allgemeingültigkeit erzeugen und gleichzeitig verschleiern, wer eigentlich etwas denkt, fühlt oder will.
Beispiel:
„Man muss sich eben durchsetzen.“
Wer ist „man“? Was will ich? Was brauchst du?
Oder:
„Wir finden das nicht gut.“
Spricht hier ein Team oder versteckt sich jemand hinter einer Gruppenzuschreibung?
Je unklarer die Sprache, desto größer das Risiko für Missverständnisse.
Typische Generalisierungen und was Du stattdessen sagen kannst
1. Zeitliche Generalisierungen
Diese Formulierungen vermitteln den Eindruck, dass ein bestimmtes Verhalten dauerhaft und unveränderlich sei. Dabei beruhen sie meist nur auf einzelnen Erfahrungen oder Gefühlen im Moment. Wenn wir solche Verallgemeinerungen verwenden, provozieren wir oft Widerstand und erschweren eine offene Klärung.
Generalisierung | Beispiel | Neutrale Alternative |
---|---|---|
immer | „Du kommst immer zu spät.“ | „Heute bist du 15 Minuten später gekommen als verabredet.“ |
nie | „Du hörst mir nie zu.“ | „Heute hatte ich den Eindruck, dass du mich unterbrochen hast, bevor ich zu Ende sprechen konnte.“ |
ständig | „Er ist ständig am Meckern.“ | „Heute hat er dreimal seine Unzufriedenheit geäußert.“ |
dauernd | „Ich muss dauernd alles alleine machen.“ | „Heute habe ich den Abwasch und das Aufräumen übernommen.“ |
regelmäßig | „Sie ignoriert mich regelmäßig.“ | „Letzte Woche hat sie mir zweimal nicht geantwortet, als ich sie angesprochen habe.“ |
2. Quantifizierende Generalisierungen
Diese Generalisierungen arbeiten mit unklaren Mengenangaben wie „alle“, „niemand“ oder „jeder“. Sie geben vor, objektiv zu sein, beruhen aber meist auf subjektiven Eindrücken. Dadurch entstehen Stereotype und Vorurteile und echte Einzelfälle gehen unter.
Generalisierung | Beispiel | Neutrale Alternative |
---|---|---|
alle | „Alle Männer sind so.“ | „Ich habe in letzter Zeit zwei Männer erlebt, die sich so verhalten haben.“ |
keiner | „Keiner hilft mir hier.“ | „Ich hätte mir heute von dir Unterstützung beim Aufräumen gewünscht.“ |
jeder | „Jeder denkt nur an sich.“ | „Mir ist aufgefallen, dass heute zwei Personen ihre eigenen Bedürfnisse in den Vordergrund gestellt haben.“ |
viele | „Viele beschweren sich über dich.“ | „Ich habe von zwei Kolleg:innen kritisches Feedback gehört.“ |
niemand | „Niemand nimmt mich ernst.“ | „Ich hatte heute das Gefühl, dass mein Beitrag im Meeting übergangen wurde.“ |
3. Modale Generalisierungen
Diese Sätze formulieren scheinbar unumstößliche Regeln – darüber, wie „man“ sich zu verhalten hat oder was „nicht geht“. Sie engen ein, verschleiern Verantwortung und erschweren Selbstreflexion. Besonders das unpersönliche „man“ wirkt dabei wie ein moralischer Zeigefinger anstatt auf Augenhöhe in Dialog zu treten.
Generalisierung | Beispiel | Neutrale Alternative |
---|---|---|
Man muss | „Man muss stark sein.“ | „Mir ist es wichtig, in schwierigen Situationen handlungsfähig zu bleiben.“ |
Man kann nicht | „Man kann nicht nein sagen.“ | „Es fällt mir schwer, in bestimmten Situationen meine Grenzen zu setzen.“ |
Das darf man nicht | „Das darf man doch nicht sagen!“ | „Ich bin irritiert über die Aussage und frage mich, wie du das meinst.“ |
Fazit: Mehr Verbindung durch klare Sprache
Sprache schafft Realität oder trennt uns von ihr.
Wenn wir unsere Aussagen entgeneralisieren, schaffen wir Raum für Verständnis und Verbindung.
Statt „man“, „immer“, „alle“ und „nie“ dürfen wir uns trauen, ich, heute, mir ist aufgefallen oder ich habe erlebt zu sagen. Das erfordert Bewusstheit und ist ein kraftvoller Schritt hin zu echter Begegnung.
Wenn du Lust hast, dich selbst mal sprachlich zu beobachten:
Notiere dir einen Tag lang deine inneren Gedanken und streiche jedes „immer“, „nie“, „man“ und „alle“.
Was bleibt übrig? Vielleicht etwas viel Ehrlicheres und Verbindlicheres.
Eine Antwort
Lieber Peter
Deine Anleitung zur GFK im Alltag mit diesen Blogs, diesem und dem vorigen zum Thema Bewertung sind wirklich spitze.
Wann gibst Du ein Buch zu diesen Themen raus?
Ich bin so froh über diese Denkanstöße und würde sie gerne, z.B. an meine Tochter weitergeben.
Vielen Dank dafür, dass Du das alles mit uns teilst, das ist so ein Gewinn für mich.
Herzliche Grüße
Lisanne