Opfer der Mafia oder meiner Gedanken?

Da war er nun. Ein Stellplatz wie er im Buche steht. Direkt an der Westflanke des Vesuvs und vor mir der Blick auf die Bucht von Neapel. In unmittelbarer Nähe waren drei Lokale die Snacks, Pizza oder Meeresfrüchte anboten. Ich fuhr auf den Platz und schon kam ein Mann mit orangefarbener Warnweste auf mich zu und wollte wissen, ob ich eines der Lokale besuchen oder über Nacht stehen wollen. Für die Nacht wären € 10 zu berappen. Zumindest war es das, was ich mit meinen geringfügigen Italienischkenntnissen verstand. Er wies mir den Platz zu, den ich auch über Nacht nutzen könnte.

Soweit so gut. Die Situation erschien mir irgendwie suspekt. Nirgendwo war eine Parktafel mit Gebühren zu sehen. Auch trug er keinen Ausweis, der ihn, in meinen Augen, dazu qualifizierte mit Recht zu tun, was er eben gerade tut. Nämlich Fahrzeuge einweisen. Ich gab ihm zu verstehen, dass ich erstmal ein Getränk an der Snackbar nehmen werde und mich erst anschließend entscheide, ob ich bliebe oder weiterfahre. Von der Snackbar aus hatte ich einen perfekten Platz, um die Lage zu beobachten. Ich bestellte ein großes Bier und verfolgte das Treiben. Es kam ein PKW der wurde eingewiesen. Dann kam ein Motorrad, samt Fahrer, der machte was er wollte und parkte irgendwo und ignorierte die winkenden Hände des Mannes mit der Warnweste. Ein Wagen verließ den Parkplatz und der Fahrer kurbelte das Fenster herunter und drückte dem Warnwestenmann etwas in die Hand bevor er den Platz verließ. Und so weiter.

Warum bin ich bloß so misstrauisch?

Wo bin ich? Am Vesuv. Wo ist der Vesuv. Oberhalb von Neapel. Wer ist in Neapel? Die Camorra. Wer sind die Camorra? Organisierte kriminelle Familienklans. Wofür ist dieser organisierte Familienklan bekannt? Für Waffen- und Drogenhandel und andere illegale Geschäfte, die immerhin den Klanfamilien pro Jahr €24 Milliarden umsetzen. Ach ja Schutzgeld gehört auch dazu. Fortan folgen meine Gedanken der fixen Idee, die €10 für die Übernachtung seien nichts anderes als Schutzgeld für mein Wohnmobil. Ich erinnere mich an verschiedene TV-Serien und Mafia Filme. In meiner Erinnerung werden die Restaurants und Bars der unwilligen Schutzgeldzahler im besten Fall einfach abgefackelt. Im schlimmsten Fall wird der Kneipier oder wahlweise auch seine Gäste umgebracht.

Blick auf Neapel bei Nacht

Meine Gedanken machen mir Angst. Keine Furcht, denn es ist ja erstmal nichts Bedrohliches in der Nähe – außer dem Vesuv, aber der scheint gerade nicht in Ausbruchslaune zu sein. Der Mann trug keine Waffe und sah auch nicht sonderlich angsteinflößend aus. Als ich mir vorstellte wie mein Wohnmobil an diesem herrlichen Ort lichterloh in Flammen aufgeht, empfand ich eher eine unspezifische Angst. Gleichzeitig mochte ich diesen genialen Platz nur ungern aufgeben. Der Reiz die Nacht über Neapel zu verbringen, unter mir die Energie des Vesuv zu spüren, war zu groß.

Wie erlange ich die nötige Sicherheit?

Ach ja, das Internet weiß inzwischen ja so alle mögliche. Vielleicht gibt es dort irgendwelche Hinweise, die mir meine Angst nehmen. Sicherlich hat der ein oder die andere bereits ähnliche Erfahrungen gemacht. Ja! Ich werde fündig. Es haben bereits einige Menschen vergleichbare Erfahrungen gemacht und im Internet publiziert. Die Bandbreite der Meinungen reicht von „ein Schnäppchen für diesen tollen Platz“ über „nachts klopfte es am Wohnmobil und suspekter Mensch wollte €10“ bis „reine Abzocke, bloß nicht zahlen“. Zumindest fand ich keinen Hinweis auf abgebrannte Wohnmobile. Das gab mir zumindest ein Stück weit ein wenig Sicherheit.

Nachdem Abendessen und einem weiteren Bier, war klar, dass ich auf diesem Platz bleiben werde. Zu dem Parkplatzwächter gesellte sich inzwischen ein zweiter, ebenfalls mit Warnweste. Ich dachte einen kurzen Augenblick darüber nach, ob ich nicht einfach meine Warnweste aus dem Wohnmobil hole. Damit hätte ich mich dazugesellen und auch ein paar Autos einweisen können, um meine Urlaubskasse ein wenig aufzubessern. Ich entschied mich dagegen. Als mich der Warnwestenmann sah, kam er auf mich zu. Scheinbar konnte er sich erinnern, dass ich die fällige Gebühr von €10 noch nicht entrichtet hatte. Mit Widerwillen zahlte ich. Die €10 waren immerhin gut investiertes Geld, wenn ich am kommenden Morgen noch ein intaktes Wohnmobil habe.

Nur um ganz sicher zu sein, dass noch ein weiterer Warnwestenmann mit der Bitte nach €10 kommt, fragte ich nach einer Quittung. Da trug deutlich zur Erheiterung des Warnwestenmannes bei. Er fand es so lustig, dass er seinem Kollegen über den halben Parkplatz zurief „Schau mal! Der hier will eine Quittung.“ Worauf auch der Andere herzhaft zu lachen begann. Beide konnten sich kaum noch einkriegen. Während ich anschließend mit einem Gefühl der Sicherheit in meinem Wohnmobil so langsam zur Ruhe kam, verhallten das Lachen der beiden Warnwestenmänner über der Bucht von Neapel.

Spanisch für Anfänger

Beim Aufräumen habe ich gerade meine alten Spanisch-Lernbücher entdeckt. Dabei erinnerte ich mich, weshalb ich mit Anfang 30 begann Spanisch zu lernen und wie motivierend Sinnhaftigkeit sein kann.

Mitte der 90er Jahre war ich bei einem amerikanischen Automobilzulieferer zuständig für die EDV Anwendungen die innerhalb von Europa zur Entwickung von Automobil-Teilen verwendet wurden. Ich war oft auf Dienstreise, um die einzelnen Standorte zu besuchen. Als ich das erste Mal nach Barcelona reiste, kam ich spät abends am Flughafen an.

Hinter der Gepäckausgabe wartete bereits Carlos, der Chauffeur. Er hielt ein Schild mit dem Firmenlogo und meinem Namen so hoch, dass ich ihn auf keinen Fall verfehlen konnte. Er begrüße mich mit einem freundlichen „Hola! Que tal?“. Ich grinste und ich wusste nicht was ich sagen sollte, denn ich verstand kein Wort Spanisch.

Carlos, der Chaffeur

Er schnappte sich mein Gepäck und brachte mich zu seinem Wagen. Ich setzte mich auf den Beifahrersitz. Auf dem Weg zum Hotel erklärte er mir mit Begeisterung alle bedeutsamen Orte und Straßen die wir passierten: Placa Espana, Montjuic mit den Anlagen der Olympiade von 1992, Gran Via, Placa Catalunya, Las Ramblas. Er zeigte überall hin und erzählte. Ich lauschte seinen Worten und verstand kein Wort. Ich sorgte mich eher, ob er vor lauter Euphorie überhaupt den Straßenverkehr im Blick hat. Das schien für ihn kein Problem zu sein. Im Hotel angekommen, begleitete er mich zur Rezeption des Hotels. Die Rezeptionistin verstand Englisch und konnte so den Abholtermin für den kommenden Morgen arrangieren. Das war der Weg der Verständigung.

Die kommenden Tage verliefen nach dem gleichen Schema. Carlos holte mich pünktlich am vereinbarten Ort ab, fuhr mich entweder ins Hotel oder in die Firma und erzählte mir während der Fahrt die schönsten Geschichten, die ich leider alle nicht verstand. Was ich verstand, war seine Begeisterung und seine Leidenschaft für das was er erzählte. Am Ende der Dienstreise fuhr er mich zum Flughafen und ich verabschiedete mich mit einem knappen „Gracias. Adios.“

Ich will Spanisch lernen.

Auf dem Heimflug ließ ich die Begegnung mit Carlos nochmals an mir vorüberziehen. Ich war frustriert, denn ich konnte mich nicht so mit ihm verständigen, wie es mir wichtig gewesen wäre. Mein Frust über mein Unvermögen mit ihm verbal zu kommunizieren, war groß und ich richtete die Bitte an mich Spanisch zu lernen.

Der nächste Gedanke war eher zweifelnder Natur. Schaffe ich das? Mein Glaubenssatz meldete sich wieder: „Ich kann keine Fremdsprachen lernen.“ Den hatte ich während der Schulzeit entwickelt. Aber mein Wille mit Carlos zu reden war stärker als der Glaubenssatz, so verwandelte er sich rasch in ein: „Ich kann Spanisch lernen.“

Kurzum meldete ich mich bei der VHS zu einem Spanisch Grundkurs an. Ich nutzte jede freie Minute, um neue Vokabeln zu lernen. Ich hatte sogar Spaß daran, obwohl es ebenso beschwerlich war wie früher in der Schule. Ein halbes Jahr später reiste ich wieder nach Barcelona und konnte Carlos, den Chauffeur immerhin mit „Hola! Que tal?“ begrüßen. Wie beim ersten Mal erzählte er mir einiges und ich verstand zumindest schon das ein oder andere Fragment. Ich stellte Fragen, obwohl ich die Antworten nicht vollständig verstand. Ich war zufrieden und froh. Froh darüber, dass ich meinen Glaubenssatz über Bord geworfen habe und mich über meine paar Brocken Spanisch mit Carlos verbinden konnte. Der erste Erfolg motivierte mich dran zu bleiben. Mein Wortschatz verbesserte sich und so konnte ich mich bei nachfolgenden Besuchen immer besser mit Carlos verständigen. Auch die Abende konnte ich in weniger touristischen Lokalen verbringen, wo ich auch ohne auf Essensbilder zu zeigen bekam was ich wollte.

Motivation durch Sinnhaftigkeit.

Rückblickend entstand meine Motivation nicht dadurch, dass mir jemand sagte, ich müsse Spanisch lernen, damit ich mich damit irgendwann mal mit einem spanischen Taxifahrer unterhalten könne. Wäre dem so gewesen, hätte mir diese Vorstellung alleine vermutlich nicht ausgereicht, um meine Freizeit mit Vokabellernen zu verbringen. Mein eigenes Erleben feuerte meine Motivation an, um mit Freude mehr zu tun als erforderlich. Das mühsame Lernen der Vokabeln machte plötzlich Sinn. Und jedes Tun, das für mich auf irgendeine Art und Weise einen Sinn ergibt resultiert auch in Freude und Erfolg. Weiterhin erfüllte ich mir auch ein Bedürfnis nach nachhaltiger Entwicklung. Mein Bedürfnis nach Autonomie war erfüllt, denn ich brauchte keinen Übersetzer mehr. Das nützte mir noch Jahre später beim Pilgern auf den Jakobswegen.

Fazit

Ich bin davon überzeugt, dass es im Leben Begegnungen, ähnlich zu meiner Begegnung mit Carlos braucht, um wenig lebensdienliche Überzeugungen über Bord zu werfen. So öffnen sich neue Wege und Erfahrungen.

Sinnhaftigkeit war meine zündende Motivation, um Spanisch zu lernen und die ersten kleinen Erfolge lieferte die Energie, um dranzubleiben. So wurden mir durch erlernen der spanischen Sprache, außer der Sinnhaftigkeit auch die Bedürfnisse nach Autonomie, Verständigung, Entwicklung, Wachstum und Selbstwirksamkeit erfüllt. Klasse, oder?


Welche Begegnungen brachten Dich nachhaltig weiter? Wodurch wirst Du angetrieben? Was motiviert Dich? Wie erfüllst Du Dir täglich Dein Bedürfnis nach Sinnhaftigkeit im Alltag? Gibt es auch sinnlose Tätigkeiten in Deinem Alltag?

Magst Du mir dazu einen Kommentar hinterlassen?

Wundersame Begebenheiten – Sonny von Sorges.

Als ich morgens in der Nähe eines Wohnmobilstellplatzes in Sorges aufwachte wusste ich noch nicht das dieser Ort seinem Namen alle Ehre machen wird und ich mich bald, um einen kleinen Hunde sorgen würde. Ich bereitete mir mein Frühstück als sich ein Hund zur mir gesellte und mit Neugier rumschnupperte. Er blickte mich so bedürftig an, wie ich es sonst nur von meiner Tochter kannte, wenn sie irgendetwas von mir wollte. Er konnte noch so treu blicken, meine Fürsorge unterdrückte ich und gab ich ihm weder Nahrung noch Streicheleinheiten. Am Ende würde ich den Hund durch meine Zuwendung noch an mich binden und das wollte ich nicht, denn sicherlich würde er zu den Wohnmobilleuten gehören.

Dem Hund war das scheinbar egal, denn er verfolgte mich durch Sorges zu einer Bar. Ich trank dort einen Kaffee, lud mein Handy und verfasste meine Pilgernotizen. Ich ging zur Touristeninfo, wo gerade irgendwelche Trüffel begutachtet wurden, um mir einen Pilgerstempel in meinen Pilgerpass drücken zu lassen. Anschließend machte ich mich auf den Weg und der Hund, den ich aufgrund seines hellen Fells Sonny nannte, folgte mir sehr unaufdringlich.

Unfreiwillig begleitet.

Den Jakobsweg schien Sonny zu kennen. An manchen Kreuzungen oder Abzweigungen reduzierte er sein Tempo, ging bedächtig in eine Richtung, blieb stehen und beobachtete wie ich mich wohl entscheiden würde. Ich hoffte Sonny würde irgendwann mal von alleine auf die Idee kommen zurück nach Hause zu laufen. Er hatte ein gepflegtes Fell und gehörte sicherlich zu irgendjemand der ihn vielleicht schon vermissen würde. Nach über einer Stunde machte ich eine Pause.

Während ich von meinem Baguette aß sorgte Sonny für meine Unterhaltung. Er erkundete die Umgebung und schien viel Spaß daran zu haben eine Ziegenherde aufzumischen. Irgendwann war er nicht mehr zu sehen. Wo war er bloß geblieben? Bestimmt hatte Sonny Sehnsucht nach seinem Herrchen oder Frauchen und schlug seinen Nachhauseweg ein. Ich lief weiter und nur wenige hundert Meter später galoppierte er an mir vorbei. Ein berührender Moment, denn irgendwie gefiel es mir diesen kleinen unkomplizierten Begleiter zur Seite zu haben. Im Straßenverkehr bestaunte ich die Sonnys Achtsamkeit. Sobald er ein Auto hörte lief er an den Straßenrand, legte sich ins Gras und wartete bis das blecherne Ungeheuer vorbeifuhr. Erst dann lief er weiter.

Immer mal büxte er aus und rannte kreuz und quer über Wiesen und durch die Wälder. Der Gedanke den Rückweg einzuschlagen schien ihm fremd. Lieber lief er vor mir her und fühlte sich wohl berufen mich zu begleiten, um mir den Weg zu weisen. Irgendwann wurde mir die Sache mulmig und ich versuchte Kontakt aufzunehmen und ließ nichts unversucht Sonny zur Rückkehr zu motivieren. Mal schrie ich ihn lautstark an und mal sprach ich ihn in freundlichem Ton an.

Wunder geschehen immer wieder.

Wie könnte ich ihn bloß loswerden? Irgendwo würde sicherlich jemand diesen treuen Begleiter vermissen. Es war auf keinen Fall ein Streuner. Sein Fell war sehr gepflegt. Verschiedene Gedanken gingen mir durch den Kopf: Ich könnte per Anhalter fahren, in Périgueux einen Bus nehmen, um Sonny abzuhängen oder auf ein Wunder hoffen. Klar, ich könnte ihn auch bis Santiago mitnehmen, so lieb und laufbereit er war.

Während ich gedanklich alle möglichen Strategien durchspielte wie es mit mir und dem Hund weitergehen könne, erschienen mir zwei Engel in der Form von Pilgerinnen. Sie waren auf dem Rückweg von Santiago De Compostela nach Vézelay. Ich erzählte ihnen die Geschichte mit dem Hund und sie erklärten sich bereit ihn nach Sorges zurückzunehmen. Ein Schnürsenkel diente ihnen dabei als Leine. Ich dankte den Beiden, war froh und lief mit Trennungsschmerz weiter. Ich glaube der Hund wäre lieber mit mir weitergelaufen, das drücke er auch mit bitterlichem Abschiedsbellen aus. Das war das erste Mal das er überhaupt bellte.

Irgendwie war ich traurig von dieser Szene und fragte mich wie es kommt, dass mich diese eigentlich ungewollte, kurze Beziehung zu diesem Hund so berührt. Ich bis sicher, dass ich da irgendwas in Sonny hineinprojizierte. Irgendwie war ich auch überzeugt, dass mir Sonny nicht zufällig begegnete sondern, dass uns eine kosmische Energie zusammenführte.