Peter H. Schmitt | Mediation Coaching Training

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Blinde Flecken aufdecken

Johari Fenster

Wertschätzendes Feedback: Blinde Flecken erkennen und echte Entwicklung fördern

Kennst du das, wenn du eine Aufgabe übernommen hast, dein Bestes bei der Abwicklung gegeben hast und dir nun Klarheit darüber wünschst, wie zufrieden dein Umfeld ist? Als Antwort erhältst du: “Das hast du toll gemacht!” “Es war super!” “Das war totaler Mist!”

In der Regel bekommst du also Lob oder Tadel – Aussagen, die dir helfen einzuschätzen, wie dein Umfeld deine Aktivität bewertet. Aber meist liefern sie keinen Aufschluss darüber, wie du das Leben der anderen Personen bereichert hast oder welche konkreten Verbesserungen du beim nächsten Mal vornehmen könntest.

Genau hier liegt das Problem: Oberflächliches Feedback bestätigt oder verunsichert uns, aber es lässt uns nicht wachsen. In diesem Artikel zeige ich dir, wie du durch wertschätzendes Feedback deine blinden Flecken erkennst, echte Entwicklung förderst und dabei sowohl im beruflichen als auch privaten Umfeld stärkere Verbindungen aufbaust. Du lernst den Unterschied zwischen Lob und wertschätzendem Feedback kennen, erfährst praktische Methoden für den Alltag und verstehst, warum diese Art der Kommunikation ein echter Gamechanger für deine Beziehungen ist.

Den Nutzen von Feedback verstehen – das Johari-Fenster

Mein Eindruck bestätigt sich immer wieder: Der Mangel an wertschätzendem Feedback in Unternehmen führt zu einer massiven Demotivierung der Mitarbeiter. Die Studienlage ist alarmierend: Der aktuelle Gallup Engagement Index zeigt, dass nur 9 Prozent der Beschäftigten in Deutschland sich stark emotional an ihr Unternehmen gebunden fühlen – 78 Prozent machen Dienst nach Vorschrift und 13 Prozent haben innerlich gekündigt. Dabei belegen Studien, dass gut gestaltetes Feedback in rund 70 Prozent der Fälle zu Leistungssteigerungen führt.

Um den Nutzen von Feedback zu erklären, nutze ich gerne das Johari-Fenster. Es wurde 1955 von den amerikanischen Sozialpsychologen Joseph Luft und Harry Ingham entwickelt (daher der Name: Jo-Hari). Es ist ein Modell zum Verständnis zwischenmenschlicher Kommunikation und Selbsterkenntnis.

Das Modell zeigt deine Persönlichkeit und dein Verhalten in den Dimensionen Ich/Andere und bekannt/unbekannt. So entstehen vier Fenster:

  • Öffentlich: Was du über dich weißt und was andere auch sehen. Hier fühlst du dich sicher und authentisch.
  • Blinder Fleck: Was andere über dich wissen, du selbst aber nicht siehst. Hier verstecken sich deine größten Entwicklungsmöglichkeiten.
  • Privat: Was du über dich weißt, aber anderen verbirgst. Hier liegen oft deine Ängste und Unsicherheiten.
  • Unbekannt: Was weder du noch andere über dich wissen. Das Potenzial, das nur durch neue Erfahrungen sichtbar wird.

Wertschätzendes Feedback ist der Schlüssel, um deinen blinden Fleck zu verkleinern und somit deine authentische Präsenz – den öffentlichen Bereich – zu vergrößern. Je mehr du über dich selbst preisgibst, indem du zum Beispiel anderen wertschätzendes Feedback gibst, verkleinerst du deinen privaten Bereich und vergrößerst gleichzeitig deine authentische Präsenz. So wird das Geben und Nehmen von Feedback zu einer Win-Win-Situation für alle Beteiligten.

Der Unterschied zwischen Lob und wertschätzendem Feedback

In der Gewaltfreien Kommunikation nach Marshall Rosenberg gibt es eine entscheidende Schlüsselunterscheidung: die zwischen Lob (Bewertung) und wertschätzendem Feedback. Diese Unterscheidung ist fundamental für gelingende Kommunikation.

Lob und Komplimente sprechen wir aus einer bewertenden Haltung aus. Wir legen unseren eigenen Bewertungsmaßstab an und bewerten in der Regel unkonkret, wie zum Beispiel “Das hast du gut gemacht.” Durch unser Lob stellen wir uns auch in gewisser Weise über den anderen und nehmen uns das Recht heraus, ein Urteil über ihn sprechen zu können. Dabei kann es passieren, dass der andere abhängig von unserem Lob wird und irgendwann irritiert ist, wenn die Droge Lob ausbleibt – fast wie eine Strafe wirken kann.

Lob und Tadel führen auch dazu, dass man kein Feedback bekommen möchte, aus Sorge getadelt zu werden. Wertschätzendes Feedback ist dabei ein echter Gamechanger, denn du kannst es ausdrücken, wenn ein Verhalten sowohl zu angenehmen als auch zu unangenehmen Gefühlen, zu erfüllten und unerfüllten Bedürfnissen geführt hat.

Wenn du wertschätzendes Feedback ausdrückst, benennst du konkret, welche Handlung eines anderen (Beobachtung) zu deinem Wohlergehen, also zu deinen Gefühlen und Bedürfnissen beigetragen hat. Wertschätzendes Feedback sprichst du auf Augenhöhe ohne weitere Absicht aus. Es sollte immer zeitnah und ausschließlich aus eigener Perspektive in Ich-Botschaften gegeben werden.

Praktisches Beispiel: Sandra und Wolfgang

Betrachten wir den Unterschied am Beispiel von Hauptabteilungsleiterin Sandra und dem Projektleiter Wolfgang. Sandra fragt Wolfgang um Feedback nach ihrer Präsentation:

Lob: “Die Präsentation war ganz gut. Sie hätte an der ein oder anderen Stelle etwas lebendiger sein können.”

Wertschätzendes Feedback: “Sandra, als du das Beispiel mit dem Kundenfall erzählt hast, konnte ich mir die Situation bildlich vorstellen und mich hineinversetzen (Beobachtung). Das hat meine Aufmerksamkeit gesteigert und ich war neugierig (Gefühl), weil mir wichtig ist, dass ich Zusammenhänge verstehe (Bedürfnis). Gleichzeitig ist mir aufgefallen, dass du bei der Präsentation der Zahlen schneller gesprochen und weniger Blickkontakt gehalten hast. Das hat mich irritiert und ich hätte mir mehr Kontinuität in deinem Präsentationsstil gewünscht. Wie geht es dir, wenn du das von mir hörst?”

Praktisches Beispiel: Emma und ihre Mutter

Emma präsentiert ihrer Mutter ganz stolz ein Bild oder freut sich über eine Schulnote:

Lob: “Das hast du ja ganz toll gemacht.”

Wertschätzendes Feedback: “Emma, als ich dein Bild angeschaut habe, sind mir sofort die leuchtenden Farben und die vielen Details aufgefallen (Beobachtung). Ich war begeistert und neugierig (Gefühl), weil mir Kreativität und Sorgfalt wichtig sind (Bedürfnis). Besonders die Art, wie du den Baum gemalt hast, mit all den kleinen Blättern, zeigt mir, wie viel Geduld du hattest. Wie ist es dir beim Malen ergangen?”

Was macht den Unterschied?

  • Lob kategorisiert: gut/schlecht, richtig/falsch und macht Menschen abhängig von äußerer Bestätigung
  • Wertschätzendes Feedback beschreibt: konkrete Beobachtungen und deren Wirkung und fördert Autonomie und Selbstreflexion

Die Sandwich-Falle vermeiden

Verschiedene Management-Ratgeber empfehlen ein sogenanntes Sandwich-Feedback zu geben: Zuerst kommt ein Lob, dann ein Tadel und zum Schluss wieder ein Lob in der Form “Du machst das super, aber du könntest pünktlicher sein, ansonsten bist du ein toller Kollege.” Das Problem hierbei ist, dass Menschen die Manipulation erkennen und weder das Lob noch die Kritik ernst nehmen.

In diese Falle tappst du beim wertschätzenden Feedback nicht, denn es bewertet nie den anderen, sondern du drückst aus, was ein Verhalten mit dir macht oder eben nicht macht. Sei authentisch. Wenn du etwas wertschätzt, sage es. Wenn dich etwas stört, sprich es ehrlich an.

Die verschiedenen Wege zu Feedback

Feedback ist keine Einbahnstraße – es gibt mehrere Möglichkeiten, wie wir zu wertvollen Rückmeldungen kommen können:

1. Feedback erbitten

“Wolfgang, könntest du mir sagen, wie meine Präsentation auf dich gewirkt hat? Was ist bei dir angekommen?”

2. Feedback anbieten

“Sandra, ich habe eine Beobachtung während deiner Präsentation gemacht. Magst du, dass ich es dir sage?”

Wichtig: Ein “Nein” muss respektiert werden. Nicht jeder ist in jedem Moment bereit für Feedback – und das ist völlig in Ordnung.

Feedback annehmen: Die andere Seite der Medaille

Wertschätzendes Feedback zu geben ist nur die halbe Miete. Genauso wichtig ist es, Feedback offen zu empfangen. Hier sind fünf Punkte:

  1. Aktiv zuhören statt rechtfertigen:
    Statt: “Das stimmt nicht, ich war nicht gestresst!” Lieber: “Du hast bemerkt, dass ich dreimal auf die Uhr geschaut habe. Das ist interessant. Erzähl mir mehr darüber, was du beobachtet hast.”
  2. Ausreden lassen:
    Lass dein Gegenüber vollständig zu Ende sprechen, bevor du antwortest. Oft haben wir die Tendenz, schon nach den ersten Worten zu unterbrechen oder innerlich eine Antwort zu formulieren.
  3. Nachfragen statt interpretieren:
    Statt: “Du findest also, dass ich schlechte Arbeit mache.” Lieber: “Wenn du sagst, dass dir Klarheit wichtig ist – könntest du mir ein Beispiel geben, wo du dir mehr Klarheit gewünscht hättest?”
  4. Dankbar sein ohne Rechtfertigung:
    Statt: “Das habe ich getan, weil…” Lieber: “Danke, dass du dir die Zeit genommen hast, mir deine Wahrnehmung zu schildern. Das hilft mir, meinen blinden Fleck zu verstehen.”
  5. Wertschätzung annehmen ohne falsche Demut:
    Statt: “So sehr habe ich sicherlich nicht beigetragen zu…” Lieber: “Es freut mich zu hören, dass mein Beitrag dir geholfen hat. Kannst du mir noch mehr darüber erzählen, was genau für dich hilfreich war?”

Deine praktische Übung für diese Woche

Übung: Das Feedback-Experiment

Wähle diese Woche drei Situationen aus und gib wertschätzendes Feedback – entweder direkt oder, falls du noch unsicher bist, zunächst im Stillen für dich:

Situation 1: Deinem Partner/deiner Partnerin zu einer alltäglichen Handlung Situation 2: Einem Kollegen zu einem beruflichen Verhalten Situation 3: Deinem Kind zu einer Aktivität oder einem Verhalten

Struktur für dein Feedback:

  1. Beobachtung: Was genau hast du gesehen oder gehört?
  2. Gefühl: Wie hat es sich für dich angefühlt?
  3. Bedürfnis: Was ist dir wichtig, was brauchst du?
  4. Bitte/Verbindung: Eine Frage, die Verbindung schafft

Beispiel für stilles Üben: “Als Wolfgang heute früh ‘Guten Morgen’ gesagt und gelächelt hat (Beobachtung), war ich erfreut und energiegeladen (Gefühl), weil mir ein freundlicher Start in den Tag wichtig ist (Bedürfnis). Das hätte ich ihm gerne gesagt.”

Die wichtigsten Erkenntnisse

  • Wertschätzendes Feedback verkleinert deine blinden Flecken und fördert echtes Wachstum
  • Das Johari-Fenster zeigt dir, wo deine Entwicklungspotentiale liegen
  • Konkrete Beobachtungen sind wirkungsvoller als vage Bewertungen
  • Echte Gefühle teilen schafft Verbindung statt Distanz
  • Die Sandwich-Methode ist manipulativ und wenig wirkungsvoll
  • Feedback annehmen ist genauso wichtig wie Feedback geben
  • Authentizität ist der Schlüssel zu wirkungsvollem Feedback

Dein nächster Schritt

Wertschätzendes Feedback zu geben und zu empfangen ist wie ein Muskel – es wird durch Übung stärker. Fang diese Woche mit einer Person an, der du vertraust. Experimentiere mit den vier Bausteinen: Beobachtung, Gefühl, Bedürfnis, Bitte.

Und vergiss nicht: Es geht nicht darum, perfekt zu werden. Es geht darum, Schritt für Schritt eine Feedback-Kultur zu entwickeln, die Menschen dabei hilft, zu wachsen und authentisch zu sein.

Denn am Ende des Tages wollen wir alle dasselbe: gesehen, verstanden und wertgeschätzt werden – nicht für das, was wir tun, sondern für das, wer wir sind und werden können.